Der mächtige Berner Stadtstaat und das Schloss Hünigen

22.02.2021

Die Geschichte des Schlosses Hünigen ist eng mit der Geschichte des mächtigen Berner Stadtstaaten verknüpft. Mitte des 16. Jahrhunderts von der angesehenen Berner Patrizierfamilie von Scharnachtal errichtet, ging es 1588 in den Besitz der ebenfalls aristokratischen Berner Familie von May über. Am Ende des 19. Jahrhunderts kamen zwei grossen Namen dazu: César Ritz und Auguste Escoffier.

Der mächtigste Stadtstaat nördlich der Alpen

Die im 12. Jahrhundert gegründete Stadt Bern erlebte seit den 1300er-Jahren einen rasanten Aufstieg. Dank expansiver Territorialpolitik durch Bündnisse, Ankauf von Rechtstiteln und Pfandschaften sowie militärischen Feldzügen war Bern im 16. Jahrhundert der grösste Stadtstaat nördlich der Alpen. Diese Vormachtstellung hielt Bern bis 1798 inne, als der französische Einfall die Ordnung der Alte Eidgenossenschaft stürzte. 

Bern wurde im 16. Jahrhundert von einer Städtearistokratie regiert. Mächtige Familien wie die von Diesbach oder die von Ringoltingen besetzten die wichtigsten Ämter in Politik und Handel. Zu diesen wohlhabenden und angesehenen Patrizierfamilien gehörte auch die Familie von Scharnachtal. Sie besass im Berner Oberland zahlreiche Güter und Ländereien.

Die Errichtung des Schlosses Hünigen

Niklaus von Scharnachtal (ca. 1419-1489) war als Schultheiss von Bern von 1463 bis 1472 das städtische Oberhaupt und wurde später Heerführer während den Burgunderkriegen. Sein Sohn Hans Rudolf von Scharnachtal erwarb 1501 das Land Hünigen, wo bereits eine Mühle und eine Burg standen, die später allerdings abbrannten. Der Enkel von Hans Rudolf, der den gleichen Namen wie Rudolfs Vater trug, Niklaus von Scharnachtal, liess Mitte des 16. Jahrhunderts aus den Ruinen der älteren Burg das Schloss Hünigen bauen, das bis heute in dieser historischen Form existiert.

1588 kam das Schloss Hünigen in den Besitz der Familie von May. Ebenfalls Teil des Berner Patriziats und Mitglied der Gesellschaft zum Roten Löwen (heute: Mittellöwen) hatte sich insbesondere Bartholomäus May (1446-1531) als Grosskaufmann, Berner Heerführer sowie Staatsmann einen Namen gemacht. Später sassen zahlreiche Mitglieder der Familie im Grossen und im Kleinen Rat Berns oder dienten als Offiziere in fremde Heere. 

In den nächsten fast 350 Jahren blieb das Schloss Hünigen im Besitz der Familie von May. In dieser Zeit wurde das Schloss immer wieder für Rezeptionen genutzt und im Schloss gingen Menschen aus der ganzen damaligen Welt ein und aus.

Grosse Veränderungen um 1900

1899 nahm die schweizerische Eisenbahngesellschaft Burgdorf-Thun-Bahn (BTB) die erste elektrische Vollbahn Europas in Betrieb. Die Strecke führte von Burgdorf über Konolfingen bis nach Thun. Die Familie von May war massgeblich am Bau dieser Bahn beteiligt. Ihren Einfluss geltend machend liess sie neben dem Bahnhof in Konolfingen auch in Stalden einen Bahnhof errichten, unmittelbar neben dem Schloss Hünigen. 

Einige Jahre zuvor hatte César Ritz, ein Schweizer Hotelier und Gründer des legendären Grandhotel Ritz in Paris, ein grosses Stück Land in Stalden im Emmental von der Familie von May erworben. Unter Mitbeteiligung seines Chefkochs, der berühmte Auguste Escoffier, gründete er 1892 die Berneralpen Milchgesellschaft, um ein Patent für Milchsterilisation der Hotellerie nutzbar zu machen. Bald grösster Arbeitgeber im Raum Konolfingen produzierte die Milchgesellschaft ab 1901 in unmittelbarer Nähe zum Schloss den Exportschlager Staldencrème. 

1922 endet die lange familiäre Besitzgeschichte des Schlosses Hünigen. Die Familie von May verkaufte das Schloss an die Evangelische Gesellschaft des Kantons Bern. 2019 wurde das Schloss von den erfolgreichen Unternehmer Walter Inäbit und Matthias Spycher erworben und seitdem als 4-Sterne-Seminar- und Boutique-Hotel geführt. 
Der mächtige Berner Stadtstaat und das Schloss Hünigen